... AB IN DEN CONTAINER

Eine kritische Komödie von Jutta Golitsch

Neu bearbeitet von Isabell Warmboldt & Wolfgang Grammel

Die trostlose Szenerie eines Supermarkt-Hinterhofs mit Besen, Leitern, leeren Kisten ist da zu sehen – und im Zentrum des Bühnenbildes ein riesiger Container mit bunten Graffiti und Parolen unterschiedlicher politischer Couleur. Noch bevor das Stück beginnt, malt ein grell geschminktes und verwegen kostümiertes Punkmädchen weitere Bilder und Sprüche an die Containerwand. Dann belebt sich die Szene und die Komödie „Ab in den Container!“ in der Regie von Isabell Warmboldt und Wolfgang Grammel nimmt Fahrt auf.

 

Filialleiter Kraut und Franz, der Rentner und Minijobber, machen, was sie immer am Schluss des Arbeitstages machen: abgelaufene Lebensmittel sowie Obst und Gemüse, das man dem anspruchsvollen Kunden nicht mehr zumuten kann, landen in unglaublicher Menge im Container, um als Schweinefutter zu enden. „45 Sorten Joghurt . . . “, sinniert der Filialleiter, „aber der Kunde will die Auswahl, die verleiht ihm das Gefühl von Macht“ – sonst geht er zur Konkurrenz. Und so fragt Ottilie von Treyspitz, die verarmte Adlige, die sich auch sprachlich von den anderen abhebt und von vergangenem Glanz träumt, angesichts des Containers ironisch: „Was haben wir heute im Angebot?“

 

Denn der Container weckt die Begehrlichkeit derer, die sich die Lebensmittel unserer Wohlstandsgesellschaft nicht leisten können: Da ist der Obdachlose Charly, die Rentnerin Hermine Brettschneider und die christliche Sozialarbeiterin Colette mit ihrem Schützling Felicitas, die den Container als Lebensmitteldepot für sich entdeckt haben. Auch Franz freut sich, wenn Filialleiter Kraut ihm gönnerhaft ein paar abgelaufene Maultaschen oder Schupfnudeln überlässt.

 

Der Container weckt die Begehrlichkeit

Und wie sieht es da mit dem siebten Gebot „Du sollst nicht stehlen“ aus? „Essen wegschmeißen – das ist Sünde“, empört sich die Sozialarbeiterin, „die Lebensmittel bekommen die Schweine, und Menschen hungern!“ Dennoch müssen natürlich alle stets darauf gefasst sein, erwischt zu werden, zumal auch Polizistin Bergmann im Supermarkt unterwegs ist. Zunächst allerdings nicht dienstlich, sie hat ein Auge auf den Filialleiter geworfen. Die Situation eskaliert jedoch, als im Container – die „Mülltaucher“ sind darin buchstäblich abgetaucht – unvermittelt ein Handy klingelt und die Polizistin darauf ihre Dienstwaffe zückt.

 

Das Ensemble der TheaterCompagnie'SoEinTheater' zeigt die Mehrdimensionalität der Figuren sehr eindrucksvoll. Es sind allesamt gemischte Charaktere – eben wie im richtigen Leben. Der Filialleiter Kraut ist stets bemüht, seinen Laden am Laufen zu halten, doch hinter seiner toughen Managerfassade verbergen sich Skepsis angesichts überbordender Regale und eine verletzliche Seele. Dabei lässt er erkennen, dass er die Avancen der Polizistin Bergmann deswegen abwehrt, weil er Angst hat, erneut verletzt und enttäuscht zu werden. Die Polizistin sucht umgekehrt die Nähe des Filialleiters, kann aber dann mit gezückter Dienstwaffe ganz die Staatsmacht repräsentieren.

 

Allesamt gemischte Charaktere

Rentner Franz  muss als Minijobber seine kärgliche Rente aufbessern, ist aber eigentlich der Poesie und dem Schönen zugetan und überdies unglücklich verliebt in die Kassiererin Ingrid Ingrid Dietrich, die ihrerseits Gewalt in der Ehe erlebt hat. 

 

Der Obdachlose Charly, der in Outfit, Frisur und Gebaren ein Genrebild der Unterprivilegierten und Aussortierten ist, erzählt die klassische Geschichte einer Abwärtsspirale, wie es sie bei uns in viel zu großer Zahl gibt: „Jobverlust, Wohnung weg – und irgendwann auf der Straße“. Die forsche Landwirtin Frieda Schmidtke kann dagegen nicht schnell genug an die Lebensmittel für ihre Schweine kommen. Dazu kommt Grete, die genervte Nachbarin. Dazu wackelt Frau Brettschneider, die Rentnerin, deren Kleidung verrät, dass sie schon bessere Tage gesehen hat, mit ihrem Rollator über den Hinterhof: immer irgendwie in der falschen Richtung.

 

Groteske Situationskomik

Die Inszenierung bietet eine Fülle solcher Details, grotesker Situationskomik und Überraschungseffekte. Skurril ist die Szene, als die gute Seele Colette, die ihren Schützling stets auf den „rechten Weg“ bringen will, im Müllcontainer spontan eine „Vesper“ improvisiert, um der Verfolgung zu entgehen und das Punkmädchen dazu ein inniges „Halleluja“ anstimmt!

 

Dieses Theaterstück zerrt einen gesellschaftlichen Skandal vor den Richtstuhl der Bühne: Jedes achte Lebensmittel, das wir kaufen, werfen wir weg, und so landen jedes Jahr etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. 

 

Die Autorin der Komödie, Jutta Golitsch, als Theaterautorin und Regisseurin eine „Spätberufene“, hat allerlei brisante Themen in ihre Komödie gepackt: die Wegwerfmentalität unserer Überflussgesellschaft, Altersarmut, Gewalt in der Ehe, sozialen Abstieg, hilflose Ausbruchsversuche von Jugendlichen und ökonomischen Druck durch die Konkurrenz der Lebensmittelmärkte. Aber das Stück kommt nicht oberlehrerhaft moralisierend daher, sondern witzig und unterhaltsam. So bietet es einen Theaterabend in bester aufklärerischer Tradition: „Prodesse et delectare“ – „nützen und erfreuen“.